Der Begriff Schub ist immer wieder etwas, über das man in der Diskussion über das Reiten stolpert. Als Bestandteil der Ausbildungsskala unabdingbare Voraussetzung für die Versammlung? Ein schönes Thema, über das ich auf einer meiner langen Bahnfahrten nach Österreich einmal sehr intensiv nachdenken konnte.
Die Definition "Schub" nach der Ausbildungsskala
"Schwung ist die Übertragung des energischen Impulses aus der Hinterhand auf die Gesamt-Vorwärtsbewegung des Pferdes. Ein Pferd geht schwungvoll, wenn es energisch abfußt und in der Schwebephase mit seinen Gliedmaßen gut nach vorn durchschwingt. Ein Pferd muss losgelassen mit federnd schwingendem Rücken und einer weichen, korrekten Anlehnung gehen, um schwungvoll traben und galoppieren zu können. Schwung kennzeichnet nur den Trab und Galopp. Der Schritt weist keine Phase der freien Schwebe auf und kann daher auch nicht schwungvoll geritten werden."
Ein Absatz, der schnell zu lesen und vermeintlich zu verstehen ist, aber wenn man ihm einmal auf den Grund geht, sieht es etwas anders aus. "Schwung ist die Übertragung des energischen Impulses aus der Hinterhand auf die Gesamt-Vorwärtsbewegung des Pferdes. ". An dieser Stelle wird klar, in welcher Bewegungsphase wir uns befinden. Eine Übertragung ist nur möglich während das schiebende Bein auf dem Boden ist, Kraftübertragung in der Luft ist nicht möglich. Die Belastungsphase auf dem Boden ist untergliedert in 3 Phasen, dem Aufkommen/ Abfangen, dem Stützen des Gewichts und dem Abruck vom Boden. Den Abdruck vom Boden können wir sehr schnell nachvollziehen, wenn wir einige male in etwas in die Knie gehen und dann einen kleinen Hüpfer nach oben machen. Wir belasten dabei die Strecker unserer Beine. Gleichzeitig ist es notwendig, die Gelenkswinkel etwas zu beugen, um diesen Schwung/ Abdruck entwickeln zu können. Der Schwung setzt also eine Beugung der Gelenke voraus, beim Pferd spielt dabei das Hüftgelenk als Energie-Zwischenspeicher eine sehr wichtige Rolle. Der Bezug zur Versammlung ist ist deutlich. Eine weitere Voraussetzung für diese Abdruckphase ist ebenso, dass sich das Pferd in der ersten Phase abfangen und tragen kann. Ist hier die Kraft zu groß, kann man sich nicht mehr herausdrücken. Auch das kennen wir, wenn wir von oben auf den Boden springen und kaum noch die Kraft besitzen, uns abzufangen.
Zur Beurteilung des Schwunges muss also das stützende Bein betrachtet werden. Legt man das Augenmerk auf das vorschwingende Bein, kann man schnell getäuscht werden. Dies kann man wieder leicht selbst erleben, wenn man auf dem Boden steht und abwechselnd ein Bein anzieht. Dies sieht sehr fleißig aus, aber es werden völlig andere Muskelgruppen trainiert, welche für die Versammlung recht unwichtig sind.
Das Missverständnis im Schub
"Ein Pferd geht schwungvoll, wenn es energisch abfußt und in der Schwebephase mit seinen Gliedmaßen gut nach vorn durchschwingt. Ein Pferd muss
losgelassen mit federnd schwingendem Rücken und einer weichen, korrekten Anlehnung gehen, um schwungvoll traben und galoppieren zu können."
Diese Stelle
hingegen birgt große Gefahren in der Fehlinterpretation und zu einem falschen Sehverständnis. Beide Hintergliedmaße als auch die Rückentätigkeit müssen hier unter funktionalen Gesichtspunkten
betrachtet werden. Während sich ein Bein abdrückt befindet sich das andere Bein in der Vorführphase. Ein guter Abdruck bedingt ein gutes Vorschwingen des anderen Beines. Allerdings kann ein Pferd
auch die Vorführphase mit anderen Muskelgruppen bewerkstelligen als mit der Muskulatur, welche für die Versammlung trainiert werden muss. Der Blick auf das schwingende Bein kann also
täuschen.
Problematisch ist auch die Beschreibung des federnd schwingenden Rückens. Es ist richtig, dass sich der Rücken frei bewegen können muss, damit das Pferd die entsprechenden Bewegungen mit der
Hinterhand machen kann. Ein verspannter Rücken behindert den Schwung. In der Abdruckphase jedoch wird der Druck über die Hinterhandstrecker über die Kruppenmuskulatur in den Rücken geleitet, dies
funktioniert nur bei einer gewissen Stabilität des Rückens. ein durchschwingender Rücken deutet sogar darauf hin, dass das Pferd entweder ohne Schub/Abdruck arbeitet oder der Rücken ist so
instabil, dass die Kraft nicht effektiv in die Wirbelsäule weitergeleitet werden kann. Dies käme dem Versuch gleich, jemanden mit der Gerte zur Seite zur Drücken. Es passiert nichts, außer dass
sich die Gerte verbiegt. Und genau dies passiert in der Wirbelsäule, das Pferd bringt unphysiologische Drehmomente in die Gelenke.
Wenn man sich also das aktive Hinterbein in der Luft
vorstellt und dazu den schön schwingenden Rücken besteht durchaus die Aussicht, dass man etwas als Positiv betrachtet, was funktionell weit entfernt ist vom korrektem Schwung.
Die Kennzeichen eines korrekten Aktivität
In Hinblick auf die Vorbereitung der Versammlung bleiben für mich zwei Parameter, die entscheidend sind. Vor dem Abdruck möchte ich eine Beugung des Hüftgelenkswinkels sehen. Dies zeigt an, dass
das Pferd die Kraft sammelt um sich sogleich abzudrücken. Ein Pferd muss lernen, mit dem Hüftgelenk zu spielen, denn über dieses Gelenk fängt das Pferd wiederum die auftretenden Kräfte beim
Aufkommen ab. Ohne das Hüftgelenk arbeitet das Pferd nur in den unteren Gelenken und ein schnellerer Verschleiß ist vorprogrammiert. Die Winkelung geschieht automatisch, wenn das Pferd an den
Abdruck denkt. Zu trainieren ist dies am besten in Tempiunterschieden und Gangartenwechsel. Wenn ein Pferd zum Beispiel aus dem Trab in den Schritt durchparriert nur um Energie für den Abruck zu
sammeln, so wird sich dies schnell im Hüftgelenk widerspiegeln. Es wird ebenso flexibel im Übergang zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein werden, damit es sich effektiver abfangen kann.
Dies kann man sich wieder gut vorstellen, wenn man leicht vorwärts läuft und alle 5 Meter gerade nach oben springt. Man wird langsamer, beugt seine Winkel um Kraft zu sammeln und schnellt dann
nach oben hinaus. Wie es so richtig heißt: Versammlung und Schub bedingen einander.
Was meiner Erfahrung nach überhaupt nicht funktioniert ist das Pferd ohne Tempounterschiede einfach vorwärts zu reiten. Schub entwickelt sich aus der Haltungsänderung und nicht innerhalb einer
Haltung. Erst nach langem Training ist das Pferd in der Lage, in einer Haltung den korrekten Schub/ Abdruck zu halten. Probiert es aus: Versucht einmal mehrere 1.50 Sprünge vorwärts zu machen,
wie im Dreisprung in der Leichtatlethik.
Zusammenfassung
- Schub entsteht auf dem Boden.
- Vor dem Schub beugen sich die Hüftwinkel
- Die Schubübertragung bedarf eines stabilen, getragenden Rückens
- Schub entsteht im Wechselspiel der Haltungsänderung
- Schub hat NICHTS mit Geschwindigkeit zu tun
- Schub erreicht man nicht im konstanten Vorwärtsreiten
Was leider noch vergessen wurde
Eines der wichtigsten Dinge wurde übrigens in der Definition völlig außer Acht gelassen. Die Rolle der tragenden und abdrückenden Vorhand. Wenn die Vorhand nicht korrekt mitarbeitet, kann das Pferd überhaupt keinen Schwung entwickeln. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Ulrike Groth (Sonntag, 29 Juli 2018 12:29)
Hallo Thies,
Interessante Ausarbeitung. Aber Schub = Schwung? Ist es deiner Ansicht nach dasselbe? "Schub erreicht man nicht im konstanten Vorwärts reiten"
Meinst du damit Schwung erreicht man nicht im konstanten Vorwärtsreiten?
Denn was ist mit Pferden, die vermehrt auf Schub gezüchtet sind, wie zb Vollblüter mit den entsprechenden Körpermerkmalen? Ohne Schub könnten sie doch diese Geschwindigkeit en nicht erreichen (=konstantes Vorwärtsreiten)?
Müsste man nicht zwischen Schub und Schwung unterscheiden oder habe ich einen Denkfehler?
Liebe Grüße von Uli
Karsten (Dienstag, 09 März 2021 09:11)
Sehr spannender und vorallem auch gut geschriebener Artikel!
Kann die hier genannten Aussagen nur genauso unterschreiben! Wer sich darüber hinaus darüber noch mehr informieren möchte, kann auch hier mal schauen: https://www.pferde-osteopathie.de/de/blog
Viele Grüße, macht weiter so und bleibt gesund !